Industriestrompreis kommt: Entlastung, aber nicht ohne Gegenleistungen
Hohe Stromkosten haben sich über die vergangenen Jahre zu einem zentralen Wettbewerbsfaktor in der Industrie entwickelt. Produktionsprozesse, die auf große Strommengen angewiesen sind, stehen im internationalen Vergleich zunehmend unter Druck. Zu hohe Strompreise verhindern die wirtschaftliche Elektrifizierung thermischer Prozesse. Energieintensive Branchen benötigen daher stabile Rahmenbedingungen, um Investitionen planen und ihre Transformationsvorhaben verlässlich umsetzen zu können.
Mit dem geplanten Industriestrompreis legt die Bundesregierung nun ein Instrument vor, das gezielt jene Sektoren unterstützen soll, die besonders stark von hohen Stromkosten betroffen sind. Der Entwurf zeigt klar, dass finanzielle Entlastung und Transformationsfortschritte unmittelbar zusammengehören. Doch einen Haken gibt es: Unternehmen können mit einer Entlastung rechnen, jedoch nicht ohne verbindliche Gegenleistungen, etwa Investitionen in erneuerbare Energien, Effizienz, Flexibilisierung und Eigenerzeugung.
Für betroffene Unternehmen ist es deshalb wichtig, sich frühzeitig mit den geplanten Regelungen auseinanderzusetzen und abzuschätzen, welche Anforderungen und Chancen der Industriestrompreis in den kommenden Jahren mit sich bringt. Wir fassen die zentralen Eckpunkte des Entwurfs zusammen und geben Orientierung, wie der Industriestrompreis wirken soll.
Warum der Industriestrompreis jetzt auf den Weg gebracht wird
Seit Jahren liegen die Industriestrompreise in Deutschland über dem europäischen Durchschnitt. Die Kombination aus Netzentgelten, Abgaben, Marktpreisen und Transformationsdruck belastet vor allem Produktionsprozesse mit hohem Strombedarf. Für viele energieintensive Branchen ist die Strompreisentwicklung damit längst zu einem wettbewerbsentscheidenden Faktor geworden. Gleichzeitig verlangt der europäische Beihilferahmen CISAF, dass staatliche Entlastungen zeitlich befristet und mit Fortschritten bei Effizienz und Dekarbonisierung verknüpft werden.
Der geplante Industriestrompreis folgt diesen Vorgaben und soll für die Jahre 2026 bis 2028 eine klar begrenzte Entlastung ermöglichen. Ziel ist es, die besonders stromintensiven Branchen in einer Phase hoher Kosten zu stabilisieren, ohne langfristige Marktmechanismen oder bestehende Strukturprozesse zu ersetzen. Ein weiterer entscheidender Aspekt ist die Gefahr der Standortverlagerung, weshalb der Industriestrompreis dazu beitragen soll, Abwanderungen ins Ausland vorzubeugen.
Nach aktueller politischer Planung soll der Industriestrompreis über den Klima- und Transformationsfonds finanziert werden. Der Klima- und Transformationsfonds, auch KTF genannt, ist ein Sondervermögen der deutschen Bundesregierung, das zur Finanzierung der Energiewende und des Klimaschutzes dient und eine klimaneutrale und wettbewerbsfähige Wirtschaft fördern soll.
Ab wann gilt der Industriestrompreis?
Der subventionierte Industriestrompreis soll ab dem 1. Januar 2026 greifen und nur für maximal drei Jahre gewährt werden. In diesem Zeitraum können begünstigte Unternehmen für 50 % ihres Stromverbrauchs eine finanzielle Entlastung erhalten. Der Entwurf sieht vor, dass diese Dreijahresphase klar abgegrenzt ist und nach 2028 ausläuft. Laut Bundesregierung sind die Verhandlungen mit der EU-Kommission bereits in der finalen Phase, die genaue Ausgestaltung bleibt jedoch weiterhin offen.
Vorgesehen ist außerdem, dass die Förderung nicht im Jahr des Verbrauchs ausgezahlt wird. Stattdessen erfolgt die Auszahlung jeweils im Folgejahr, nachdem die relevanten Strommengen bestätigt wurden. Der Zeitplan stellt sich damit wie folgt dar:
- Entlastung für 2026 wird im Jahr 2027 ausgezahlt
- Entlastung für 2027 wird im Jahr 2028 ausgezahlt
- Entlastung für 2028 wird im Jahr 2029 ausgezahlt
Für Unternehmen ist dieser Zeitversatz relevant, da er sich auf Liquiditätsplanung, Budgetierung und Investitionsentscheidungen auswirkt. Gerade für Branchen mit hohen Vorfinanzierungsbedarfen oder knappen Margen ist eine frühzeitige Einordnung dieses Zeitplans entscheidend.
Wer kann die Entlastung erhalten?
Der Industriestrompreis richtet sich ausschließlich an Unternehmen, die als besonders stromintensiv gelten und im internationalen Wettbewerb stehen. Entscheidend ist die Einordnung in bestimmte Wirtschaftssektoren, die als besonders verlagerungsgefährdet gelten. Grundlage hierfür ist die Teilliste 1 des Anhangs I der Klima-, Umwelt- und Energiebeihilfeleitlinien (KUEBLL). Sie umfasst insgesamt 91 Sektoren, unter anderem aus folgenden Bereichen:
- weite Teile der chemischen Industrie
- Metallverarbeitung und Stahl
- Glas und Keramik
- Papier und Zellstoff
- Gummi- und Kunststoffverarbeitung
- Zement und Grundstoffindustrie
- Batteriezellen und Halbleiter
- Teile des Maschinenbaus und der Rohstoffgewinnung
Neben diesen Sektoren können weitere Branchen einbezogen werden, sofern sie die Kriterien des europäischen Beihilferahmens erfüllen. Dafür müssen sie nachweisen, dass ihre Stromkosten im Verhältnis zur Wertschöpfung besonders hoch sind und ein relevantes Verlagerungsrisiko besteht. Die Bundesregierung hat angekündigt, die zugehörigen Verbände aufzurufen, entsprechende Daten und Nachweise vorzulegen.
Damit ist klar: Die Entlastung richtet sich nicht allgemein an die Industrie, sondern an klar definierte Sektoren mit besonderem Wettbewerbsdruck. Unternehmen, die nicht in diese Kategorien fallen, sind nach aktuellem Stand nicht förderberechtigt.
Wie ist der Industriestrompreis ausgestaltet?
Die Berechnung des Industriestrompreises folgt einem festen Mechanismus. Grundlage ist der Vergleich zwischen dem marktüblichen Strompreis und einem politisch festgelegten Zielwert. Unternehmen erhalten eine Entlastung, wenn der Referenzpreis über diesem Zielwert liegt.
Wie wird die Entlastung berechnet?
- Zielpreis
Der Industriestrompreis orientiert sich an einem Zielwert von fünf Cent pro Kilowattstunde. Nur wenn der marktbasierte Preis diesen Wert überschreitet, entsteht ein Anspruch auf Entlastung. - Referenzpreis
Der Referenzpreis basiert nicht auf den individuellen Beschaffungskonditionen eines Unternehmens. Maßgeblich sind die Terminmarktpreise der deutsch luxemburgischen Gebotszone. Herangezogen wird der Jahresmittelwert der Base Future Kontrakte des Vorjahres. Dadurch entsteht ein einheitliches und transparentes Verfahren, das eine aufwendige Einzelprüfung vermeidet. - Beihilfehöhe
Die Entlastung entspricht fünfzig Prozent des Referenzpreises des jeweiligen Jahres. Sie ist jedoch auf die Differenz zum Zielwert begrenzt. Dadurch entsteht ein klarer Berechnungsrahmen. Wenn der Marktpreis steigt, erhöht sich der mögliche Entlastungsbetrag, bleibt aber auf den Weg zu fünf Cent pro Kilowattstunde begrenzt.
Welche Strommengen sind anrechenbar?
- Anrechenbare Menge
Grundsätzlich können Unternehmen fünfzig Prozent ihres jährlichen Stromverbrauchs ansetzen. Dieser Anteil bildet die Grundlage für den späteren Entlastungsbetrag. - Einbeziehung indirekter Verbräuche
In Industrie und Chemieparks können auch indirekte Strommengen berücksichtigt werden, etwa für Dampf, Druckluft oder andere Medien. Voraussetzung ist ein nachvollziehbarer Nachweis der genutzten Mengen, damit keine Doppelförderungen entstehen. - Option für eine degressive Förderverteilung
Unternehmen können wählen, ob sie die Entlastung gleichmäßig über alle drei Jahre nutzen oder zu Beginn einen größeren Anteil anrechenbarer Strommengen ausschöpfen. Diese Option kann Investitionsentscheidungen erleichtern und bietet zusätzlichen Spielraum bei der Planung.
Welche Gegenleistungen müssen Unternehmen erbringen?
Unternehmen, die vom Industriestrompreis profitieren möchten, müssen im Gegenzug eigene Investitionen tätigen. Der Entwurf sieht vor, dass mindestens fünfzig Prozent des gewährten Beihilfebetrags in Maßnahmen fließen, die das Stromsystem entlasten oder die Energieeffizienz verbessern. Diese Vorgabe soll sicherstellen, dass die finanzielle Unterstützung nicht nur kurzfristig entlastet, sondern zugleich zur Modernisierung der industriellen Energieinfrastruktur beiträgt.
Zu den anerkannten Maßnahmen zählen unter anderem Investitionen in erneuerbare Energien, Energiespeicher, flexible Laststeuerung, elektrische Prozessanwendungen und Effizienzmaßnahmen, die den Strombedarf reduzieren. Ebenfalls berücksichtigt werden Modernisierungen betriebsinterner Netze oder Infrastrukturprojekte, die den Anschluss neuer erneuerbarer Erzeugungsanlagen ermöglichen. Auch Kosten aus Power Purchase Agreements können angerechnet werden, sofern sie sich auf neue Anlagen aus erneuerbaren Energien beziehen.
Darüber hinaus können Unternehmen weitere Maßnahmen einbringen, wenn sie nachweislich einen messbaren Beitrag zur Entlastung des Stromsystems leisten. Die konkrete Bewertung erfolgt durch die Vollzugsbehörde, die im Rahmen des Antragsverfahrens prüft, ob die eingereichten Maßnahmen die Anforderungen erfüllen.
Eine Besonderheit stellt der Flexibilitätsbonus dar. Dieser Bonus erhöht den Beihilfebetrag um zehn Prozent, wenn mindestens achtzig Prozent der geforderten Gegenleistungsverpflichtung in Flexibilitätsmaßnahmen investiert werden. Zusätzlich müssen mindestens fünfundsiebzig Prozent des gewährten Flexibilitätsbonus ebenfalls in entsprechende Projekte fließen. Ziel dieser Regelung ist es, den Ausgleich zwischen Stromangebot und Nachfrage zu verbessern und Unternehmen zu motivieren, ihre Prozesse stärker auf flexible Steuerbarkeit auszurichten.
Alle eingereichten Maßnahmen müssen innerhalb von achtundvierzig Monaten nach Beihilfegewährung umgesetzt werden. Nach Abschluss der Maßnahmen sind die Investitionen gegenüber der Vollzugsbehörde detailliert nachzuweisen. Eine parallele Anrechnung derselben Investitionen in anderen Förderprogrammen ist ausgeschlossen, damit eine Doppelförderung vermieden wird.
Was am Industriestrompreis zu kritisieren ist
Der Industriestrompreis kann Energie- und Transformationskosten einzelner Branchen in der Industrie beeinflussen. Gleichzeitig bringt das Instrument deutliche Herausforderungen mit sich und wird daher nur für einen begrenzten Teil von Unternehmen eine spürbare Entlastung bieten.
- Begrenzte Laufzeit
Die Förderung ist auf drei Jahre beschränkt. Für viele Unternehmen ist dieser Zeitraum kurz, insbesondere wenn Investitionen in neue Anlagen oder Infrastruktur mit mehrjährigen Vorlaufzeiten verbunden sind. Die Maßnahme kann zwar unterstützen, ersetzt jedoch keine langfristig stabile Stromkostenstrategie. - Komplexität der Gegenleistungen
Mindestens fünfzig Prozent des Beihilfebetrags müssen in definierte Investitionen fließen. Die Anforderungen an Effizienz, Flexibilität oder erneuerbare Erzeugung sind vielfältig und teilweise technisch anspruchsvoll. Unternehmen müssen daher präzise prüfen, welche Maßnahmen nicht nur zulässig sondern auch wirtschaftlich sinnvoll sind. - Keine Kumulierung mit der Strompreiskompensation Unternehmen die bereits die Strompreiskompensation in Anspruch nehmen sollen ein „Wahlrecht“ erhalten, welches der Instrumente sie nutzen. Effektiv muss also individuell betrachtet werden, welche der Subventionen die höhere Entlastung verspricht.
- Administrativer Aufwand
Die Antrags- und Nachweisführung erfordert eine detaillierte Datengrundlage. Strommengen müssen eindeutig zugeordnet und dokumentiert werden, besonders wenn indirekte Verbräuche berücksichtigt werden sollen. Auch die Abwicklung des Flexibilitätsbonus verlangt eine exakte Zuordnung der Investitionen und Abgrenzung zu anderen Förderprogrammen. - Unklarheiten in der finalen Ausgestaltung
Die Abstimmungen mit der EU-Kommission sind noch nicht abgeschlossen. Damit können sich einzelne Kriterien ändern, etwa bei der Auswahl der förderfähigen Sektoren, bei der Bewertung von Gegenleistungen oder bei der Berechnungsmethodik. Unternehmen bewegen sich daher weiterhin in einem Umfeld, das nicht vollständig finalisiert ist. - Nicht alle Unternehmen profitieren
Der Industriestrompreis richtet sich an klar definierte Branchen mit hohem Verlagerungsrisiko. Unternehmen, die außerhalb dieser Kategorien liegen, erhalten keine Entlastung. Dies kann innerhalb von Wertschöpfungsketten zu asymmetrischen Effekten führen, wenn nur bestimmte Teile der Produktion profitieren. Für den Großteil der mittelständischen Unternehmen wird die Entlastung keine Anwendung finden. - Auszahlung erst im Folgejahr
Da die Entlastung jeweils ein Jahr später ausgezahlt wird, entsteht ein zeitlicher Versatz, der Auswirkungen auf die Liquidität haben kann. Für stromintensive Branchen mit hohem Working Capital Bedarf ist dies ein wesentlicher Planungsfaktor.
Welche Chancen der Industriestrompreis tatsächlich bietet
- Temporäre finanzielle Entlastung bei hohen Strompreisen
Der Industriestrompreis senkt die Stromkosten für begünstigte Unternehmen spürbar, wenn der marktbasierte Referenzpreis über dem individuell erzielten Strompreis liegt. Eine erfolgreiche Energiebeschaffung kann also zu Liquiditätsvorteil und höherer Entlastung führen. - Umsetzungsspielraum der Transformationsstrategie
Unternehmen die eine Strategie für ihre Klimatransformation haben, erhalten zusätzlichen Spielraum diese auch umzusetzen. Für alle anderen Unternehmen gilt es wahrzunehmen, dass sich ohne eine solche Agenda das Investitionsklima nicht verbessern wird. - Mehrjährige Planbarkeit der Stromkosten
Durch die feste Berechnungslogik und die dreijährige Laufzeit entsteht eine höhere Planungssicherheit für Unternehmen, die stark von Strompreisschwankungen betroffen sind. Dies ermöglicht stabilere Finanz- und Beschaffungsentscheidungen und kann Investitionsprozesse unterstützen. - Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit stromintensiver Sektoren
Die Maßnahme richtet sich gezielt an Branchen, die international unter starkem Preisdruck stehen. Für diese Unternehmen kann die Entlastung den Standortnachteil hoher deutscher Strompreise vorübergehend reduzieren und die Position im globalen Wettbewerb zwar nicht vollständig ausgleichen aber stärken. - Finanzieller Bonus durch Flexibilitätsmaßnahmen
Unternehmen, die einen Großteil ihrer Gegenleistungen in Flexibilisierung investieren können, profitieren zusätzlich vom Flexibilitätsbonus. Dieser kann den Beihilfebetrag um zehn Prozent erhöhen. Voraussetzung ist, dass die Flexibilitätsquoten erfüllt werden und entsprechende technische Potenziale vorhanden sind.





